Auszug "Frei atmen"

 

Genre: Entwicklungsroman

Status: in Überarbeitung (Stand 10.12.2022)

Verfasser: Susanne Kämmerer

Länge: ca. 323 S.

 

 

Plot:

Vor eineinhalb Jahren trifft der Engländer Chris, 34, den smarten Physikstudenten Alexander, 25, in einem Café am Hauptbahnhof Hamburg. Was als Smalltalk zwischen zwei Kaffeetassen und zwei Unbekannten beginnt wandelt sich im Laufe der kommenden Monate zu einer Romanze, die beide auf eine harte Probe stellt, denn: Chris ist verlobt – mit der 31-jährigen Nicole. Die Schuldgefühle des Treuebruchs seiner Verlobten gegenüber und seine Angst vor einem Outing und dem Eingestehen seiner Liebe zu Alexander, die beständig über die Zeit hinweg fast gegen Chris' Willen wächst, scheinen ihn innerlich aufzufressen. Was er in Hamburg treibt widerspricht allem, was er selbst so häufig in seinem Bekanntenkreis predigt.Zermürbt von seinem Gewissen und seinen Gefühlen offenbart er sich schließlich seiner besten Freundin Julia. In diesem Gespräch wird klar: Er liebt Alexander. Und er muss sich entscheiden.

 

 

 

Leseprobe: 

 

„Wieso?“, fragte Nicole erstaunlich gefasst. Sie standen sich im Wohnzimmer gegenüber. Sie hielt die Arme vor der Brust verschränkt und schaute Chris an. „Wieso? Ein Jahr lang…“ Ihr Ton wurde angreifend und härter. „Weißt du überhaupt, was du gemacht hast? Weißt du, was mir die ganze letzte Woche für Bilder im Kopf rumgegangen sind?!“ Chris nickte. „Du weißt es…!“, gab Nicole fassungslos zu verstehen. „Wieso hast du‘s dann gemacht?! Wieso hast du mich über ein Jahr lang verarscht?!“ Die Emotionen überkamen sie. Tränen liefen ihre Wangen herunter und ihre Mundwinkel begannen zu zittern. Chris konnte an ihrem Ausdruck erkennen, dass sie eher wütend als traurig war. Vielleicht war es auch beides. Sie wischte sich mit dem Ärmel ihrer altrosa Bluse die Tränen weg. „Du machst mir einen Antrag und vögelst ein paar Wochen später mit einem Kerl….!“ Sie schnaubte verächtlich und gebrochen zugleich. Wieder rang sie damit Haltung zu bewahren. Sie brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. „Und nicht nur einmal… Monatelang! Und du hast die ganze Zeit so getan, als wäre nichts. Du hast mich systematisch angelogen! Jedes Mal, wenn ich dich angerufen habe oder du mir geschrieben hast, was du grade machst, hast du mich wahrscheinlich angelogen. Und du… FICKST mit dem Kerl und kommst hier her und legst dich zu mir ins Bett und machst mit mir das gleiche… Weißt du, wie WIDERLICH das ist?!“ Sie schaute Chris scharf an. Nach einer kurzen Weile drehte sie den Blick wieder und zog sich die Nase hoch. „Ich habe lange drüber nachgedacht, was passiert ist und wie du dich verhalten hast das ganze letzte Jahr“, sprach sie beiläufig und ruhig – den Blick immer noch abgewandt. „Das Schlimme ist, dass mir nichts einfällt, was irgendwie anders war zwischen uns. Oder auffällig. Bis auf zwei Sachen.“ Sie hielt kurz inne. „Du hast gesagt, ich kenne ihn nicht.“ Sie machte erneut eine kurze Pause und schaute ihn an. „Aber es ist der Typ von dem Bild, oder?“ Sie schaute ihn von der Seite an. „Das vom Strand. Du hast fast einen Herzinfarkt bekommen damals, als ich hinter dir stand und es gesehen habe. Ich habe mir lange nichts dabei gedacht, aber dann habe ich mich gefragt, was so schlimm an dem Bild gewesen sein könnte, dass du es so panisch weggedrückt hast.“ Sie lachte und schluchzte gleichzeitig. Erneut wischte sie sich die Tränen aus den Augen.

Chris nickte. „Ja“, sagte er so leise, dass er es selbst kaum verstand. „Das war Alexander.“ Erneut brach Stille zwischen sie.

„Und du hast dein Handy nachts ausgemacht. Und wenn du da warst, hast du es mit dem Display nach unten gelegt. Das hast du sonst auch nie gemacht.“ Sie schaute ihn erneut an. „Du hattest Angst, dass ich mitbekomme, dass er dir schreibt. Beziehungsweise auch was er dir schreibt.“ Chris nickte unmerklich und schuldbewusst. „Wie alt ist er denn? Dein Surfer Toy Boy?“

„Er ist 25“, entgegnete Chris sehr ruhig.

„25…“, wiederholte Nicole. Sie klang spöttisch. „Kann der Kleine noch irgendwas gut außer Ficken?“ Chris schüttelte ungläubig den Kopf. Nicole war offensichtlich auf Angriff aus. „Was?!“, entgegnete sie, während sie die Nase hochzog und zur Seite blickte. „Fällt dir nichts ein, was er sonst noch kann? Oder habt ihr über ein Jahr lang nur rumgefickt und nicht geredet? Es wundert mich ja fast, dass du überhaupt weißt, wie er heißt.“

Erneut schüttelte Chris den Kopf. „Wenn du es genau wissen willst: Er kann nicht nur gut ficken! Er kann Klavier spielen, spricht vier Sprachen und schreibt nach dem Master seine Doktorarbeit in Physik. Er ist vermutlich schlauer als du und ich zusammen.“

„Es ist mir egal, was er macht!“, entgegnete Nicole scharf.

„Wieso fragst du dann?“ Chris‘ Stimme wurde härter. „Wieso provozierst du mich?“

„Ich provoziere dich?“ Nicole lachte auf. Chris nickte. „Das glaube ich jetzt nicht...“

„Glaubst du ernsthaft, dass ich so oberflächlich bin, dass ich dich für Sex und Party machen verlassen würde? Wir kennen uns seit zehn Jahren. Wir sind acht davon zusammen. Und du glaubst ernsthaft, dass ich das machen würde?“

Nicole schüttelte schwach den Kopf. Sie wirkte auf Chris in diesem Moment sehr traurig und gebrochen. „Wir sind seit acht Jahren zusammen, aber ich habe das Gefühl, ich weiß nicht, wer du bist. Ich weiß nicht, wer vor mir sitzt.“ Sie schluckte. „Ob ich GLAUBE, dass du sowas machen würdest?“ Sie zog die Schultern nach oben und zog die Nase hoch. „Sag du es mir… Ich hätte auch nie geglaubt, dass du fremdgehst. Was ich glaube, ist egal.“ Sie wirkte getroffen. Sie schaute ihn an und sprach härter weiter. „Und offensichtlich bin ich dir auch so egal, dass es dir nichts ausgemacht hat, mich über ein Jahr lang anzulügen.“

„Ich habe dich nie angelogen.“

„Du hast mich nie angelogen.“ Nicole schüttelte ungläubig und wütend den Kopf. „Vielleicht stimmt das sogar. Aber dann hast du was viel Schlimmeres gemacht: Du hast mich für absolut DUMM verkauft! Und du meinst, das macht es besser?! Du meinst, dass das alles entschuldigt, was du das ganze letzte Jahr getrieben hast?!“

Chris schüttelte leicht den Kopf. „Das macht es nicht besser“, gab er reumütig zu.

„Hat er gewusst, dass du mit mir verlobt bist?“, fragte Nicole ruhig.

Chris nickte. „Ja, er hat es gewusst.“

Nicole schnaubte durch die Nase und schüttelte den Kopf. „Hat er es die ganze Zeit gewusst?“

Chris nickte erneut. „Er weiß es seit unserer ersten Begegnung.“

„Und: Habt ihr euch schön lustig gemacht über mich?“ Sie schaute ihn strafend an. „Wie naiv ich war und wie ihr mich hinter meinem Rücken bescheißen konntet?“

„Nicole…“, brachte Chris schuldbewusst leise hervor.

„Was?!“, sagte sie scharf. Sie schluchzte. „War es nicht so? Habt ihr euch nicht über mich lustig gemacht? Jedes Mal, wenn du zu ihm gefahren bist und ich blöde Kuh nichts davon wusste, was du wirklich abends gemacht hast in Hamburg? Wenn ihr rumgevögelt habt, ohne dass ich davon wusste? Oder jede Sekunde, die du hier warst und mir nichts aufgefallen ist: Hast du dich innerlich kaputtgelacht, wie schlau du bist und wie dumm ich bin?“ Ihre Augen waren kalt. Sie hielt einen Moment inne. „Und weißt du, was ich mich auch gefragt habe die ganze letzte Woche?“ Sie schaute ihn direkt an. Chris schwieg und schüttelte leicht den Kopf. „Wie oft hast du dir vorgestellt oder gewünscht, dass ich er wäre, wenn wir Sex hatten?“ Sie zog die Nase hoch. „Ich will darauf keine Antwort.“

„Wieso nicht?“, fragte Chris ruhig und schaute sie ebenfalls an. Er sprach sehr ruhig. „Hast du Angst, die Antwort, wie oft ich mir das vorgestellt hätte, wäre irgendwas anderes als ‚Jedes Mal‘? Oder dass ich nie gedacht habe, wie schlau ich bin, sondern was für ein großes Arschloch, weil ich euch beiden weh tue? Und dass ich mich nicht drüber kaputtgelacht habe, sondern hätte heulen können, als ich gemerkt habe, was ich von ihm will? Hast du davor Angst? Willst du deshalb keine Antwort? Weil es dein Bild zerstört, das du dir von mir und ihm in der letzten Woche aufgebaut und ausgeschmückt hast? Wie das alles ablief und warum wir jetzt hier sitzen?“ Er stockte. „Wir hätten letzte Woche schon reden müssen, aber du hast mich rausgeworfen. Aus meinem Haus.“ Chris wandte seinen Blick von Nicole ab und schaute unter sich.

Nicole zog die Nase hoch. Sie war erneut den Tränen nahe. Chris ging einen Schritt auf sie zu und strich ihr über den Arm.

„Fass mich nicht an!“, zischte sie ihn an und drehte sich weg. Chris erschrak förmlich vor so viel schlagartig gebündeltem Hass in Nicoles Stimme und Augen. „Fass mich nie wieder an…“ sagte sie kopfschüttelnd und unter Tränen. „Acht Jahre... Acht Jahre… Und dann fällt dir ein, dass du lieber mit Männern fickst? Oder wie lange geht das schon? Wie lange bin ich schon die zweite Wahl? Wie lange bin ich schon dein Alibi, bis du endlich genug Eier in der Hose hattest, dich zu outen?! Vielleicht gibt’s ja noch mehr Kerle VOR dem Typ aus Hamburg?! Oder Weiber auch?! Was weiß ich, was du die ganze Zeit getrieben hast auf deinen ‚Geschäftsreisen‘.“ Sie zeichnete Anführungszeichen mit den Zeigefingern in die Luft. „Und ich blöde, naive Kuh sitze brav zuhause und denke, dass mein Kerl einen Heiligenschein hat… Dass meiner die Ausnahme ist und nicht alles flachlegt, was bei Drei nicht auf dem Baum ist!“

„Jetzt hör auf!“, konterte Chris hart. Diesmal war es Nicole, die zusammenzuckte. Er konnte es nicht ertragen, wie seine Verlobte ihn als das Böse schlechthin darstellte. Er hatte sie nie davor betrogen. Er hatte sich rein gar nichts zu Schulden kommen lassen. „Es gibt keine anderen Männer und auch keine anderen Frauen! Ich bin dir sonst NIE fremdgegangen und du warst auch nie meine zweite Wahl!“

Nicole schnaubte abwertend. „Was denn dann? Dritte?“

Chris schaute Nicole fassungslos an. Wie konnte sie so gebrochen sein, dass sie so über sich und ihre Beziehung dachte? Chris überkamen heftige Schuldgefühle, als er sich das zerrüttete Gefühlspuzzle zusammenlegte, das Nicole gerade vor ihm ausbreitete.

„Du warst weder meine zweite noch meine dritte Wahl“, sagte er leise aber bestimmt. „Du warst meine erste.“

„Warst…“, ertönte es von seinem Gegenüber wie ein verspottendes, aber gleichzeitig trauriges Echo. [...]

 

 

Neuigkeiten:

 

NEUE Leseprobe 'Frei atmen' 

10.12.2022

 

 

Auszeichnungen

 

 

Laut der Jury der Bibliothek deutschsprachige Gedichte "beherrsche ich mein Handwerk". Ist doch nett... :)

 

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